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Bauministerin Geywitz und Bundeskanzler Scholz auf dem Wohnungsbaugipfel. Bild: tagesschau.de

Bauszene

Baugipfel auf Kosten des Klimaschutzes?

Umweltverbände kritisieren, dass die Bundesregierung zur Ankurbelung des Wohnungsbaus die Energieeffizienz-Standards im Neubau nicht verschärft. Geht also der beabsichtigte Aufschwung im Bausektor auf Kosten des Klimas? Bei der Diskussion drohen die anderen geplanten Maßnahmen aus dem Blick zu geraten.

October 12, 2023

Dass etwas geschehen muss, um den "freien Fall des Wohnungsbaus" (Tim-Oliver Müller, Geschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie) aufzuhalten, ist nicht zu übersehen: Der Auftragsrückgang im Bauhauptgewerbe im ersten Halbjahr 2023 erreichte die Rekordquote von 29% (Quelle: Statistisches Bundesamt), im Juli klagten 40% der Betriebe über Auftragsmangel, im August berichteten 20,7% der Firmen von abgesagten Projekten (Quelle: ifo). „Die Stornierungen im Wohnungsbau türmen sich zu einem neuen Höchststand auf," sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo Umfragen. "Seit Beginn der Erhebung 1991 haben wir noch nichts Vergleichbares beobachtet.“ Dazu schrecken Meldungen auf wie diese: Deutschlands führendes Wohnungsunternehmen Vonovia verkündet im September den Bau-Stopp für 60.000 Wohnungen. Das ist ein Fünftel der bundesweiten Neubauleistung des vergangenen Jahres.

Die Ursachen für diese Krise sind größtenteils extern, zum Teil aber auch hausgemacht. Die wichtigsten externen Ursachen sind die stark gestiegenen Zinsen und Baupreise, die vor allem auf den Krieg gegen die Ukraine zurückzuführen sind. Die Baubranche steckt nach dem rasanten Zinsanstieg, mit dem die hohe Inflation bekämpft werden soll, in Finanzierungsnöten - vor allem Projektentwickler. Aber auch zehntausenden von Häuslebauern ist damit die Finanzierung ihrer Immobilie geplatzt. Die Baupreise waren im zweiten Quartal um knapp neun Prozent zum Vorjahr gestiegen, vor allem aufgrund der steigenden Energiepreise und Lieferproblemen. Hausgemacht sind im Wesentlichen die Probleme des Facharbeitermangels und die Unsicherheiten hinsichtlich der staatlichen Förderprogramme. Das Ziel der Regierung, dass 400.000 neue Wohnungen im Jahr gebaut werden, ist in weiter Ferne. Dabei ist der Bedarf an zusätzlichen Wohnungen, auch bedingt durch die Zuwanderung und den Anstieg der Wohnbevölkerung, nicht zu übersehen. Der Mangel an vor allem bezahlbarem Wohnraum wächst sich immer mehr zum größten sozialen Problem in Deutschland aus.

14 Punkte für bezahlbaren Wohnraum

Auf dem "Wohnungsbaugipfel" im Bundeskanzleramt Ende September stellte deshalb die Bundesregierung den Verbänden der Bau- und Wohnungswirtschaft ein 14-Punkte-Programm für zusätzliche Investitionen in den Bau von bezahlbarem und klimagerechtem Wohnraum und zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Bau- und Immobilienwirtschaft vor. Die Erhöhung der degressiven AfA für den Wohnungsbau auf sechs Prozent für die nächsten sechs Jahre ermöglicht vor allem den großen Wohnbauunternehmen, ihre Investitionskosten schneller abzuschreiben. Bei der Wohneigentumsförderung für Familien wird die Einkommensgrenze mit einem Kind deutlich von 60.000 auf 90.000 Euro erhöht, je weiterem Kind können 10.000 Euro hinzuverdient werden. Der "Klimabonus", der Hauseigentümer beim Tausch alter, fossiler gegen neue, klimafreundliche Heizungen fördert, soll erhöht und auch auf Wohnungsunternehmen und Vermieter ausgeweitet werden. In den kommenden beiden Jahren will der Bund zudem ein Wohneigentumsprogramm „Jung kauft Alt“ für den Erwerb von sanierungsbedürftigen Bestandsgebäuden auflegen. Gleichzeitig soll der Umbau von leerstehenden Büros und Läden zu neuen Wohnungen in den kommenden beiden Jahren mit 480 Mio. Euro unterstützt werden. Die Mittel hierfür sollen aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen.

Das vereinfachte Bauen etwa in Low-Tech-Bauweise soll durch die Einführung eines Gebäudetyps E ermöglicht werden. Die Bereitstellung von dauerhaft bezahlbarem Wohnraum soll durch die Einführung einer Neuen Wohngemeinnützigkeit ab kommenden Jahr befördert werden. Den Ländern soll eine flexiblere Gestaltung der Grunderwerbsteuer ermöglicht werden. Eine Anpassung des Baugesetzbuchs soll Städten und Kommunen mit angespannten Wohnungsmärkten bis Ende 2026 ermöglichen, den Bau von bezahlbarem Wohnraum vereinfachter und beschleunigter zu planen. Zur Beschleunigung und Vereinfachung von Genehmigungen ist geplant, einmal bereits in einem Land erteilten Typengenehmigungen für das serielle und modulare Bauen bundesweit Gültigkeit zu verleihen, die Dauer von allen Genehmigungsverfahren im Wohnungsbau auf drei Monate zu begrenzen, Nutzungsänderungen von Dachgeschossen zu Wohnzwecken und die Errichtung von Dachgauben künftig unter bestimmten Bedingungen genehmigungsfrei zu machen, Regelungen zu Kfz-Stellplatzanforderungen in allen Landesbauordnungen zu vereinheitlichen und zu reduzieren. Viele dieser angekündigten Maßnahmen fallen allerdings in den Zuständigkeitsbereich der Bundesländer. Auf der im November stattfindenden Bauministerkonferenz der Länder wird sich zeigen, ob dem Maßnahmenkatalog auch wirklich Taten folgen werden.

Streitthema: Die vorgesehene Verschärfung der Energiestandards für Neubauten wird ausgesetzt

Eine Maßnahme in dem 14-Punkte-Programm stach allerdings besonders heraus: Der im Koalitionsvertrag für 2025 vereinbarte Energiesparstandard EH40 für Neubauten wird ausgesetzt. Zur Begründung sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck der Nachrichtenagentur Reuters, mit der Einführung des Gebäudeenergiegesetzes sei sichergestellt, dass Neubauten ab 2024 klimafreundlich heizen. „Deshalb halte ich es nicht mehr für nötig, jetzt auf die Schnelle den neuen Standard EH 40 einzuführen.“ Dieser hätte eine stärkere Dämmung neuer Häuser vorgeschrieben. „Das kann noch warten, vor der EU-Gebäuderichtlinie macht es auch keinen großen Sinn. Daher sehe ich diesen neuen Standard in dieser Legislaturperiode nicht mehr“, so der Grünen-Politiker. Die von der Baubranche immer wieder als zu teuer kritisierten Pläne werden damit wohl vorerst nicht kommen. Habeck ergänzte, es gehe jetzt darum, stärker die Baustoffe in den Blick zu nehmen, so dass diese möglichst klimafreundlich seien. „Bei der für 2024 geplanten Novellierung des Vergaberechts werden wir deshalb dafür Sorge tragen, dass Nachhaltigkeitskriterien unbürokratischer, einfacher und dadurch besser zum Tragen kommen.“ Bauministerin Klara Geywitz kündigte zudem an, das gerade erst beschlossene Heizungsgesetz noch einmal überarbeiten zu wollen. Das Gesetz könnte "einfacher" gemacht werden, "mit weniger Detailsteuerung und mehr Orientierung am CO2-Ausstoß", sagte die SPD-Politikerin der "Welt".

Aus Sicht von natureplus ist diese Prioritätensetzung zu begrüßen. Das Mikromanagement beim "Heizungsgesetz" und die Fixierung auf die Haustechnik gegenüber den Baumaterialien beim Klimaschutz waren die deutlichsten Kritikpunkte des Internationalen Vereins am GEG. Die Einführung des Gebäudetyps E, die Entbürokratisierung beim Seriellen Bauen und beim Bauen im Bestand sowie die Einführung von Nachhaltigkeitskriterien für Baumaterialien beim öffentlichen Bau weisen in die richtige Richtung. Der Umweltverband sieht sich durch das Maßnahmenpaket der Bundesregierung in seiner Position bestätigt. Auch die Bundesingenieurkammer begrüßt, dass mehr Augenmerk auf das Bauen im Bestand, das ressourcenschonende Bauen und die Kreislauffähigkeit von Baumaterialien gelegt wird. Die CO2-Reduktion im Gebäudesektor und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Genau das sehen allerdings einige Umweltverbände in der Aussetzung des Niedrigstenergiehausstandards EH40 als gegeben. So sprach die Deutsche Umwelthilfe (DUH) deshalb von "Verrat an unserer Energiewende". Die Ampelregierung habe auf dem Baugipfel "14 Maßnahmen vorgestellt, die das Klimaproblem bei den Gebäuden sogar noch vergrößern und langfristig unbezahlbar machen", sagte DUH-Geschäftsführerin Barbara Metz. Sie sei "fassungslos, dass Robert Habeck als Klimaminister die Enthauptung des Klimaschutzes beim Baugipfel mitgetragen hat. Auch er hat dem klimagerechten Neubau eine Absage erteilt. Das ist ein Bruch aller Klimaziele im Gebäudebereich: Denn das bedeutet, dass heute neue Gebäude errichtet werden, die innerhalb der nächsten 22 Jahren wieder saniert werden müssten, um Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. Das ist Wahnsinn und nicht nachvollziehbar!" Das Maßnahmenpaket der Bundesregierung nutze ausschließlich den Bau- und Wohnungskonzernen, weitere Milliardengewinne einzufahren – und schade massiv Menschen mit wenig Geld, die in den unsanierten Gebäuden zur Miete leben und mit den Heizkosten allein gelassen werden.

Auch wenn diese Kritik angesichts der anderen geplanten Maßnahmen überzogen scheint, muss sich die Ampel-Regierung im Klaren sein, dass sie mit dem Einfrieren der Dämmstandards im Neubau eine Wette eingeht. Dass nämlich der Ausbau der Erneuerbaren Energie so schnell vorankommt, dass der verbleibende Heizenergiebedarf der heutigen Neubauten rechtzeitig vor 2045 ausschließlich durch erneuerbare Energie gedeckt werden kann. Dann wäre die Klimaneutralität nach landläufiger Definition auch erreicht. Für das Erreichen der Klimaziele ist es allerdings viel bedeutsamer, dass die Millionen von Bestandsgebäuden mit den ungleich höheren Energieverbräuchen in raschem Tempo energetisch saniert und klimagerecht umgebaut werden. Ob man dahin eher mit möglichst strengen Bauvorschriften, die ohnehin in der Ausführung höchst selten kontrolliert werden, kommt oder ob uns eine Orientierung auf unbürokratischere Wege zum gleichen Ziel durch größere Freiheiten beim (Um-)Bauen weiter bringt, muss jetzt breiter diskutiert werden.

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Autor
Thomas Schmitz
Journalist, unabhängiger Berater für nachhaltiges Bauen, ehemaliger Geschäftsführer von natureplus.
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